WirtschaftsWoche/Standpunkt: Falsche Patrioten; von Chefredakteur Stefan Baron

Düsseldorf (ots) – Falsche Patrioten

Man reibt sich verwundert die Augen: Nationales scheint plötzlich wieder in Mode in diesem Lande. Politiker von rechts wie von links finden Gefallen an einem parteiübergreifenden „Pakt für Deutschland“, diskutieren immer lauter über eine „große Koalition“ im Interesse des Gemeinwohls und appellieren mit vereinten Kräften an den „Patriotismus“ unserer Manager und Unternehmer.

Mit Patriotismus ist das aber so eine Sache. Mit ihm verhält es sich wie mit Stil: Entweder man hat ihn – oder nicht. Herbeizitieren lässt er sich jedenfalls nicht. Zudem: Immer wenn eine Nation sich auf das Nationale besinnt, hat sie ihre Originalität und Kraft verloren.

Besonders deutlich macht dies der Appell an Deutschlands Unternehmenslenker, angesichts von hartnäckiger Massenarbeitslosigkeit ihrer nationalen Pflicht nachzukommen, fürs Vaterland auf Rendite zu verzichten und Arbeitsplätze im Lande zu schaffen. Erst schnürt die Politik der Wirtschaft über Jahrzehnte zunächst mit sozialen, dann mit ökologischen Auflagen die Luft ab, die Unternehmen versuchen sich der zunehmenden Umklammerung durch Flucht ins Ausland zu entziehen – um schließlich von ihren Peinigern mit treuherzigem Augenaufschlag an ihre nationale Verantwortung erinnert zu werden. Fehlt nur noch der Aufruf an die Verbraucher: „Kauft deutsch!“

„Nichts ist dümmer, kurzstirniger, nichts ungebildeter als ein Patriot“, schrieb Kurt Tucholsky mit Blick auf den deutschen Hurrapatriotismus seiner Zeit. Der neu-deutsche Wirtschaftspatriotismus ist wohl eher frech als dumm.

Fest steht: Patriotismus ist keine ökonomische Kategorie – keine nationalökonomische und schon gar nicht eine betriebswirtschaftliche. Patriotisch geführte Unternehmen sind politisch und damit schlecht geführte Unternehmen. Wer zu pat riotischer Unternehmensführung aufruft, kann die Unternehmen auch gleich verstaatlichen. Er suspendiert alles, was eine Marktwirtschaft ausmacht: Privateigentum, Wettbewerb und Freihandel. Wer nach patriotischen Unternehmern ruft, der kann auch gleich Protektionismus und nationale Autarkie fordern und der Globalisierung ade sagen. Und schon mal Lebensmittelkarten drucken lassen.

Natürlich kann es auch aus Unternehmenssicht unter bestimmten Umständen klug sein, patriotischen Ansprüchen Rechnung zu tragen. Allerdings nur, wenn dies den Gewinn fördert, ihm jedenfalls nicht abträglich ist. Warum sollten sonst etwa ausländische Aktionäre dabei mitspielen? Patriotisches Verhalten kann angesichts einer patriotisch gestimmten Öffentlichkeit die Akzeptanz eines Unternehmens und seiner Produkte beim Kunden steigern, die Motivation und Qualität seiner Mitarbeiter fördern. Aber nur, wenn Kunden und Mitarbeiter ausschließlich oder weit überwiegend aus einem Land kommen. Wo aber ist das heute noch der Fall? Würde Deutschland dem folgen, wäre es jedenfalls am längsten Exportweltmeister gewesen.

Dass führende Politiker vor allem aus dem Regierungslager hier zu Lande dennoch in das patriotische Horn blasen, kommt einer Bankrotterklärung gleich. Es zeigt, wie verzweifelt ihre Lage ist und wie rücksichtslos sie um die Macht kämpfen. Dem Volk soll rechtzeitig zur nächsten Bundestagswahl offenbar weisgemacht werden, dass die Politiker alles in ihrer Macht stehende getan hätten, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, dass also nicht sie Schuld seien an der Misere, sondern die vaterlandslosen Gesellen in den Chefetagen der Unternehmen, die nur an den Profit dächten und immer mehr Arbeitsplätze ins Ausland transferierten.

Eigentlich sollte ein Volk, das so großherzig für die Opfer des Tsunami gespendet hat und vorwiegend vom Export lebt, solch primitiven Parolen nicht auf den Leim gehen, sie als dreistes Ablenkungsmanöver erkennen, die moralische Verlogenheit, die ihnen anhaftet, durchschauen und die falschen Patrioten in die politische Wüste schicken. Mal sehen, ob es noch genug echte Patrioten gibt in diesem Lande.

Stefan Baron

Kontakt: WirtschaftsWoche, Sekretariat Chefredaktion, Frau Saxinger-Ussler, Telefon 0211 / 887 – 2112